Uhrwerk Orange
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A clockwork orange
England 1970/71 / 131 Min. Regie: Stanley Kubrick Drehbuchautor: Stanley Kubrick nach dem gleichnamigen Roman von Anthony Burgess Kamera: Jolm Alcott Darsteller/innen:
Malcolm McDowell, Paul Farrell, Patrick
Magee, Adrienne Corri, Anthony Sharp, Miriam Carlin
u.a.
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Alex (Malcolm McDowell) ist der
Chef einer Bande von Halbstarken in einem utopisch
verfremdeten London.Sie liefern sich eine Schlacht mit
einer rivalisierenden Gang, deren Mitglieder sich mit
Nazi-Emblemen geschmückt haben, dringen bei einem
Schriftsteller (Paul Farrell) ein, vergewaltigen dessen
Frau (Adrienne Corri) vor seinen Augen und überfallen
schließlich ein Haus, dessen Bewohnerin (Miriam Carlin)
von Alex brutal ermordet wird. |
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Ein wüster und schwer
zu entschlüsselnder Alptraum: Eine Parabel über die Gewalt, die
zerstörerisch und notwendig zugleich ist? Ein Plädoyer für die
Freiheit des Menschen, der verkümmert, wenn man ihn seiner
Triebe beraubt? Eine deprimierende Utopie von der
Entmenschlichung der Gesellschaft und der Allgewalt der
Wissenschaft? Auf jeden Fall ein faszinierendes Kinostück, in
dem alle Details kunstvoll zusammenklingen. Besondere Bedeutung
haben hier auch die Dekorationen, die von monströser Modernität
sind, und die Sprache, die an ein stilisiertes Rocker-Idiom
erinnert. Für die ausgezeichnete deutsche Synchronisation
zeichnet Wolfgang Staudte verantwortlich.
Stanley Kubrick ist
schon immer für seine Filme berühmt gewesen. Tiefgreifend,
hochinteressant, spannend und handwerklich furios in Szene
gesetzt, erinnert sich jeder Cineast mit einem leichten Schauer
auf dem Rücken an Werke wie Odyssee im Weltraum oder auch dem genialen Wege zum Ruhm. Den meisten anderen ist er
durch seine Filme Full Metal Jacket und Shining bekannt geworden. Ohne
Zweifel: Ein Ausnahmeregisseur. Sein Werk Uhrwerk Orange spaltet die Cineasten- Gemeinde
in zwei Lager: Die einen halten dieses skurile, surreale Werk
für genial. Sie loben den atmosphärischen Microkosmos, den
Kubrick um seinen Hauptcharakter Alex erschaffen hat. Die anderen
hassen diesen Film, da sie meinen, seine Message wäre nicht klar
zu erkennen, so daß der Film mit seiner exzessiven Gewalt auch
als Hymne auf eben diese verstanden werden könne. Kalt läßt
dieser Film aber niemanden. Die englische Regierung ging sogar so
weit, daß sie den Film verbieten ließ. Doch warum der ganze
Zirkus um einen Film?
Stanley Kubrick hat dem
Zuschauer bei Uhrwerk Orange weite interpretatorische Freiräume
gelassen und auch die weltbekannten Gewaltszenen nicht moralisch
kommentiert. So kann der Zuschauer nicht genau erkennen, was
Kubricks Aussage hinter den Bildern ist. Ein fulminanter
Kunstgriff, der aber auch sehr gefährlich ist. Denn, obwohl der
Film zum Nachdenken und Diskutieren anregt, kann er auch falsch
verstanden und Alex zur Identifikationsfigur hochstilisiert
werden. Doch eben diese Freiräume geben auch verschiedene
Möglichkeiten, den Film zu interpretieren:
Da ist zum einen die
Möglichkeit den Film als Warnung vor der
Wissenschaftsgläubigkeit zu sehen. Wenn Alex - durch Ärzte zur
Gewaltanwendung unfähig gemacht - wieder in die Gesellschaft
zurückkehrt, wird er von seinen Eltern, seinen ehemaligen
Freunden, aber auch von alten Feinden so weit in die Enge
getrieben und "getolschockt", daß er nur noch sterben
will. Außerdem ist da der ärztliche "Kunstfehler", so
daß er versehentlich auch auf Beethovens Neunte würgend und
krank reagiert.
Aber man kann den Film auch
als biblische Parabel nach dem Stile des alten Testaments sehen:
Auge um Auge. Denen, den Alex Schlechtes angetan hat, denen ist
nun die Möglichkeit gegeben, sich an ihm zu rächen. Daß am
Ende aber wieder Alex gewinnen kann, seine Übelkeit wieder los
wird, steht dem aber entgegen. Aber gerade dieses Endelement, an
dem die Politiker, die erst um jeden Preis weniger Gewalt finden
wollten, mit dem "Feind" aufgrund gefährdeter
Wiederwahl paktieren. Eine Anklage gegen die Morallosigkeit der
Politiker?
Die Art und Weise der
Gewalt läßt sich sogar in zwei verschiedene Richtungen
interpretieren. Da kann man die Gesellschaft als Auslöser der
Gewaltbereitschaft in Alex sehen, gerade weil sie sich in der
gleichen Weise an ihm rächt. Aber man kann ebenso die Gewalt
Alex' als einzige Lösung von Problemen vermuten, was natürlich
eine böse Message wäre.
Dies alles sind aber nur
Ideen, die dem Gesamtwerk nicht gerecht werden. Wahrscheinlich
ist die Gesamtaussage eine Mischung aus all' diesem und noch so
manchem anderem. Doch der Grund, warum der Film diese Messages
überhaupt rüberzubringen vermag, ist die brilliante Technik des
Filmens, die hier ein hervorragendes Gesamtbild erst möglich
macht. Da ist zum einen die großartige Ausstattung von John
Barry. Die Zukunft ist ein Treffen der Extreme. Prüde Figuren in
einem perversen Lokal, dessen Tische aus nackten, in williger
Pose kauernden Frauen, die in verschiedenen, poppigen Farben
daherkommen, besteht. Oder die kantigen Ecken und poppigen
Farben, die von runden Formen umschmeichelt werden. Dieses Design
unterstützt den Film durch seine skuril- perverse Wirkung.
Daneben idt die symbolträchtige Bilderpracht, die von der Kamera
sehr schön eingefangen wurde, hervorragend. Doch die zwei
Glanzstücke sind die elektronisch verfremdete Musik und das
geniale Drehbuch. Letzteres hält sich in seinem Sprachstil an
der literarischen Vorlage und fängt damit eine mögliche
Kommunikation der näheren Zukunft ein. Fantastisch ist auch die
deutsche Synchronisation unter der Regie von Wolfgang Staudte.
Sie ergänzt die Originalsprache um ein Element, nämlich die
weitergedachte Verenglischung unserer deutschen Sprache (Ich traf
deine M, sie gab mir den Key). Die genialen Kunstsprachanteile
der englischen Version, die Grundzüge der modernen Sprache mit
denen einer mittelalterlichen verbindet und dazu noch
Shakespeare- Sprache einflechtet, wird auch hier hervorragend
rübergebracht, wobei Shakespeare der Sprache der deutschen
Aufklärung weicht.
Meiner Meinung nach ist Uhrwerk Orange eines der größten Meisterwerke der Filmgeschichte. Es gibt kaum einen Film, der mich so bewegt hat, und der mich so sehr nachdenken ließ. Die unheimlich vielen Erzählebenen lassen einen immer wieder neue Details entdecken. Dabei lebt kein Film fast nur von seiner Atmosphäre, von seinem Microkosmos. Stanley Kubrick ist und bleibt einer der größten Künstler unserer Zeit, und dieser Film ist eines seiner größten Kunstwerke.
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